Deutschland bei Bürgerräten vorn
Bei zufällig gelosten Bürgerräten liegt Deutschland im weltweiten Vergleich vorn. Das belegt der erste Bericht der internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Von 289 erfassten Losverfahren fanden danach allein 48 in Deutschland statt, das damit zusammen mit Australien an der Spitze steht.
„Die schon von den antiken Griechen praktizierten Losverfahren wurden in den 1970er Jahren in Deutschland als Demokratie-Instrument wiederentdeckt und seitdem immer wieder angewandt. Insofern wundert uns die im Vergleich hohe Zahl nicht“, sagt Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin der Initiative „Mehr Demokratie“ dazu. Der Verein hatte im vergangenen Jahr zusammen mit der Schöpflin Stiftung und den Beteiligungsunternehmen IFOK und Nexus den bundesweit ersten losbasierten Bürgerrat durchgeführt. Thema des Bürgerrates in Leipzig war die Verbesserung der Demokratie. Im November waren die Ergebnisse an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble übergeben worden. Zuvor hatten Losversammlungen nur auf kommunaler oder Landesebene stattgefunden. Diese waren lange unter dem Namen „Planungszelle“ bekannt.
„Unser Bürgerrat war ein erster Modellversuch, der viel Zuspruch fand, sodass wir auf dieser Grundlage das Modell weiterentwickeln“, erläutert Nierth den Stand der Dinge. Sie wünscht sich, dass Bürgerräte wie etwa in Ostbelgien als dauerhaftes Demokratie-Instrument etabliert werden.
Der OECD-Bericht stellt weltweit eine dementsprechende Entwicklung fest. Seit den 1980er Jahren habe sich eine „deliberative Welle“ aufgebaut, die seit 2010 an Dynamik gewonnen habe. Die OECD schätzt, dass seit Abschluss des Berichtszeitraums im Oktober 2019 weitere 30 - 40 Verfahren im Gange sind oder angekündigt wurden. „In jüngster Zeit wird dabei zunehmend von Einzelprojekten zur dauerhaften Institutionen übergegangen“, so der Bericht. Hauptthemen von Bürgerräten waren dabei Stadtplanung (43 Beispiele), Gesundheit (32), Umwelt (29), strategische Planung (26) und Infrastruktur (26). Diese Form der Bürgerbeteiligung führe zu einer besseren Politik, stärke die Demokratie und schaffe Vertrauen.
Auf nationaler Ebene laufen derzeit in Frankreich und Großbritannien Bürgerräte zum Thema Klimaschutz. Bei einem Bürgerrat in Irland geht es um Geschlechtergerechtigkeit. In Deutschland fanden Losversammlungen in jüngerer Zeit in Berlin und Frankfurt/Main statt. Weitere Bürgerräte sind in Konstanz, Schwerin und Stuttgart geplant.
Mehr Informationen