Zweite Halbzeit beim Bürgerrat
Die zweite Halbzeit des Bürgerrates Demokratie am 27./28. September 2019 in Leipzig stand ganz im Zeichen der direkten Demokratie. Es ging um das Pro & Kontra von Volksentscheiden und die Verbindung von Sachabstimmungen mit Bürgerbeteiligungsverfahren.
Prof. Dr. Marc Bühlmann von der Universität Bern erläuterte Verfahren und Praxis von Volksinitiativen und Volksabstimmungen in der Schweiz. Dort stimmten die Bürger anders als einige Menschen meinen mitnichten über alles ab. Nur gegen einen geringen Anteil der Parlamentsentscheidungen gingen die Eidgenossen mit einem Referendum vor. Und auch von den Volksinitiativen seien nur zehn Prozent erfolgreich gewesen. Wichtiger sei die direkte Demokratie in ihrer Funktion als über den Politikern schwebendes drohendes Damoklesschwert. Dadurch werde die Bevölkerung von vornherein in Entscheidungen miteinbezogen.
Dr. Volker Mittendorf vom Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergische Universität Wuppertal berichtete kritisch über Verfahren und Verlauf des Brexit-Referendums in Großbritannien. „Beim Brexit wussten die Menschen gar nicht genau, worüber sie entscheiden“, so Mittendorf. „Außerdem fehlten klare Regelungen für die Abstimmungskampagne und die Medien berichteten einseitig.“
„Themen auf die Bühne bringen“
„Mit der direkten Demokratie können wir Themen vom Zuschauerraum auf die Bühne bringen", sagte Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie. „Ideologen und Demagogen haben nirgendwo eine größere Chance als mit der direkten Demokratie", meinte der Journalist Laszlo Trankovits. "Überlegen Sie mal, ob Sie wirklich möchten, dass Ihr Nachbar mitbestimmen kann über die großen politischen Fragen unserer Zeit?"
Dr. Andreas Paust von der Allianz für vielfältige Demokratie warb für ein Zusammenspiel von Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie. Beide könnten einander beflügeln. Paust berichtete dabei von vorbildlichen Beispielen aus der Praxis. Wie schon an den vorangegangenen Tagen berieten die ausgelosten Bürgerräte über das Gehörte und ihre Schlussfolgerungen daraus.
Am letzte Tag des viertägigen Bürgerrates Demokratie stand hauptsächlich die Abstimmung der Teilnehmenden über Empfehlungen für Demokratie-Reformen, die an den Bundestag gerichtet werden, auf der Tagesordnung.
Citizens Assembly in Irland
Zuvor ging es aber noch um Bürgerräte in Irland. Rachael Walsh, Mitglied im Beirat der Citizens Assembly in Irland, war zugeschaltet, um über die Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung und Referenden in Irland zu berichten. Die Motivation, die irische Bürgerversammlung einzurichten, war, dass zum hoch umstrittenen Thema Abtreibung kein politischer Konsens bestand. Die Citizens Assembly entwickelte eine Gesetzesvorlage zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts, die in einem Referendum angenommen wurde.
Aus den zahlreichen Ideen der Bürgerrat-Teilnehmenden hatte ein Redaktionsteam derweil 22 Vorschläge für Demokratie-Forderungen an den Bundestag zusammengestellt. Alle Vorschläge fanden eine Mehrheit, darunter Empfehlungen zur Einführung bundesweiter Volksentscheide, der Schaffung von Bürgerräten als ständige Einrichtung und nach Einführung eines Lobbyregisters beim Bundestag, um den Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung transparent zu machen.
Glückwunsch und Dank
Der Bürgerrat-Vorsitzende Dr. Günther Beckstein beglückwünschte die Teilnehmenden zu ihren Ergebnissen und bedankte sich bei den Organisatoren für Ihre Arbeit sowie bei den Moderatoren Christine von Blanckenburg (Nexus-Institut) und Jacob Birkenhäger (IFOK) für die Moderation. Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung der baden-württembergischen Landesregierung, begrüßte die Forderung nach Bürgerräten als Rückenwind für Politiker, die wie sie solche ebenfalls befürworten.
Die Bürger-Vorschläge werden nun in einem „Bürgergutachten“ zusammengefasst und am 15. November in Berlin an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble übergeben.
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